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[fallen] | . |
Nach dem Sprung verfliegt der Lärm der Propeller schnell
über ihr und das einzige, was sie noch hört, ist wie der Wind
braust während sie durch die Luft fällt. Diesen Teil des Sprunges
genießt sie immer am meisten. Fallen. Ganz alleine fallen. Fallend
auf sich selbst gestellt. Dem Boden zuschießen, die mächtige
Kraft der Anziehung fühlen. Schneller fallen als jeder Regentropfen,
schneller als der Blitz einschlagen kann, schneller als jeder Vogel vom
Himmel schießt, frei fallend, mit dem Kopf voran, schneller als jeder
Gedanke, schneller selbst als der Schall. Wenn sie schreit, streift der
Ton ihre Wange, an ihrem Ohr vorbei und erstirbt über ihr. Viel zu
langsam, viel zu schwerfällig. Er wird den Boden erst Momente nach
ihr erreichen, sie wird unten warten, sie wird dort stehen und darauf warten,
daß ihr Schrei auf der Erde zerschellt.
Der ganze Himmel gehört ihr. Sie streckt die Hände aus um
ihn zu umarmen und fühlt, wie ihr Fall sich verlangsamt, spürt
den Widerstand der Luft auf ihre Brust drücken. Und plötzlich
muß sie an ihn denken und an sein Gewicht auf ihren Brüsten
und an sein Gewicht auf ihrem Leben. Aber sie läßt diese Gedanken
mit einem Schrei über sich und fällt schnell davon.
Weit entfernt das bewegungslose Blau des Meeres, die Felder unter ihr
Teile eines durcheinandergeratenen Schachspiels. Kleine Straßen,
kleine Häuser und winzige Autos angeordnet ohne Plan oder Ziel. Sie
dreht und windet sich, übermütig wie ein Kind zum ersten Mal
im Wasser. Wer sagt, daß der Mensch nicht fliegen kann? Denkt sie
und schießt durch eine Wolke, hier komme ich und falle wie ein Engel
und heiß und stolz wie ein Sonnenstrahl. Fallen ist eine Kunst. Ihre
rechte Hand streift die Reißleine Nein denkt sie Noch nicht, nicht
zu früh, koste es noch ein bißchen aus, noch länger fallen,
noch für einen kurzen Moment, noch nicht "mal das klappt bei uns!"
hatte er ihr ins Gesicht gesagt, während er seine Bücher und
Papiere zusammensuchte und in einer Tüte verstaute. Sie konnte nicht
darauf Antworten, war zu betäubt und die ganze Situation schien ihr
einfach zu unwirklich um wirklich darauf zu reagieren. Sie wartete auf
den Abspann, doch statt dessen stand er nur noch still vor ihr und fummelte
ungeschickt ihren Wohnungsschlüssel von seinem Schlüsselbund,
legte ihn auf die Kommode und sagte noch etwas, aber sie hatte es vergessen
oder nicht verstanden oder erst gar nicht gehört aber jetzt nicht
an sowas denken nützt nichts beim Fallen ist jeder allein auf sich
selbst gestellt.
Sie atmet die kalte Luft tief ein und es schmerzt in ihren Lungen aber
das ist ein angenehmes Gefühl, ja wirklich, es ist ein schöner
Schmerz und dieses unglaubliche Blau des Himmels kriecht in ihren Kopf
und breitet sich da aus und drängt und quetscht alles an den Rand
und raus. Kein Platz mehr für Konturen oder Bilder sogar nur diese
mit Blau gefüllt Leere, wie schön das ist die Luft strömt
einfach durch sie hindurch und sie durch die Luft im wortlosen Einverständnis.
"Sag mir, daß du mich liebst" flüsterte sie ihm ins Ohr
und zischte dabei so sacht wie die Zungen der Kerzenflammen, die geduldig
vor sich hin arbeiteten. "Liebe ist kein Wort" war seine Antwort und das
riß ihr die Beine weg obwohl sie auf ihm lag und oben und unten waren
für einen Moment durchsichtig und die Erde stürzt ihr entgegen
und sie fällt noch immer und wieder übernimmt diese Angst ihren
Körper, die im Magen anfängt und dann durch den ganzen Körper
strömt und so stark ist, daß es sie würgt und sie keine
Luft kriegt, sie rudert mit den Armen und schnappt nach Luft aber da ist
nichts als die Angst, die ihr den Hals zuklebt und drückt und drückt
und das schleudert sie zurück wie der Fausthieb als sie ihn fragte
"Was hab' ich bloß falsch gemacht?" und darauf er: "Versagen kommt
von sagen!" Sie weiß, daß sie ihn verloren hat aber sie weiß
nicht wie und was tun jetzt, da die Wohnung leer und seine Sachen weg aber
er in ihrem Kopf noch da war, und dieser Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit
entzündete die Angst und den Schmerz immer wieder wenn sie im Hausflur
einen Schlüssel klingen hörte und erst nach ein paar Sekunden
der Schmerz das Lächeln aus ihrem Gesicht ätzte wenn sie sich
erinnerte, daß es nicht er sein würde.
Die Leere zwischen ihren Armen und das Fehlen seines warmen Körpers
brennt sich kalt auf ihre Brust ein und wie ein Reflex klammert sie sich
an sich selbst und schießt mit dem Kopf voran aus dem Gleichgewicht
denn Lieb ist Leib und Beil und Blei und sie stürzt noch immer und
immer und immer schwerer und schneller und während die Spielstraßen
und Spielhäuser langsam ihre Harmlosigkeit verlieren schreit sie Angst
und Schmerz hinter sich, schreit um Leben und Liebe. Die Abendsonne bricht
durch die Wolken und ihre Strahlen fließen auf die Erde wie Wasserfälle
aus Licht. Sie reißt ihren Mund auf, sieht ihren Schatten auf dem
Boden explodieren und hört, wie ihr Schrei sie einholt.